Retinadysplasie und -degeneration der Katze
Hereditäre Retinopathien
Hereditäre retinale Erkrankungen werden unter dem Sammelbegriff Progressive Retinaatrophie (PRA) zusammengefasst. 392 PRA umfasst eine Gruppe genetisch heterogener Retinopathien, die zur Erblindung führen. 381,382,410 Sie werden klassifiziert als dysplastisch oder degenerativ und unterscheiden sich anhand des Zeitpunktes ihres Auftretens, der betroffenen Rasse, der primär betroffenen Zellen, des Vererbungsmusters sowie ihrer genetischen und molekularen Pathogenese. 427
Retinadysplasie
Genetisch bedingte Retinadysplasie, wie sie beim Hund vorkommt, ist bei der Katze nur begrenzt dokumentiert. 551 Verschiedene hereditäre Formen sind bei domestizierten Katzen beschrieben. 428 Dazu zählen eine dominant vererbte early-onset Zäpfchen-Stäbchen-Dysplasie bei Abessiniern 123, eine rezessiv vererbte early-onset Stäbchen-Zäpfchen-Dysplasie bei Perserkatzen 471 sowie eine beim Bengalen auftretende, autosomal rezessiv vererbte, early-onset Erkrankung 428.
Zäpfchen-Stäbchen-Dysplasie der Abessinierkatzen
Die Dysplasie der Photorezeptoren wird bei Abessiniern autosomal dominant vererbt. 123 Als auslösende Mutation wurde eine einzelne Basendeletion identifiziert. 411 Stäbchen und Zäpfchen betroffener Katzen reifen aufgrund von einer gestörten Synaptogenese morphologischen nie vollständig aus. Die Veränderungen beginnen zentral und schreiten nach peripher fort. 411 Die Progression ist gleichbedeutend mit dem Verlust der Photorezeptorschicht. 551 Da die Veränderungen initial in der zentralen Retina auftreten, wo die Konzentration der Zäpfchen weit höher ist als die der Stäbchen, wird die Erkrankung als Zäpfchen-Stäbchen-Dysplasie betitelt. Die Funktion der Zäpfchen ist bereits erloschen, wenn die der Stäbchen noch nachweisbar ist. 411 Dennoch sind Stäbchen und Zäpfchen gleichermaßen betroffen. 334
Erkrankte Welpen sind bereits im Alter von vier bis fünf Wochen von gesunden Artgenossen anhand eines reduzierten Pupillarreflexes und leicht dilatierten Pupillen zu unterscheiden. 383 Mit sechs Wochen tritt teilweise horizontaler, pendelnder Nystagmus auf und mit sieben bis acht Wochen sind schließlich ophthalmoskopische Veränderungen im Sinne von scheckiger, grauer Verfärbung der Retina, die sich von zentral nach peripher ausdehnt, erkennbar. Im Alter von zwölf Wochen liegt eine generalisierte Hyperreflektivität des tapetalen Fundus vor und hochgradige, generalisierte Gefäßattenuation. Der nicht-tapetale Fundus erscheint teils leicht depigmentiert. 411
Die Krankheit schreitet schnell voran und führt innerhalb der ersten vier Lebensmonate zur Erblindung. 411 Katzen leiden meist nicht an sekundären Komplikationen. 205
Die Visusbeeinträchtigung spiegelt sich auch in der elektroretinographischen Untersuchung wider. Bei einer ERG Untersuchung mit sieben Wochen sind sowohl a- als auch b-Welle in der Dunkeladaptation reduziert. 411 Bei Helladaptation ist das ERG nicht messbar. 335 Wird im Alter von 12 Wochen ein ERG durchgeführt, erscheint die b-Welle proportional zur Lichtintensität als Negativausschlag. 383 Noch später ist das ERG vollständig ausgelöscht. 411
Stäbchen-Zäpfchen Dysplasie der Perserkatzen
Bei Persern existiert eine rezessiv vererbte early-onset Dysplasie der Photorezeptoren. 471 Die Veränderungen beschränken sich auf die Photorezeptorschicht, die äußere plexiforme Schicht und das retinale Pimentepithel. Stäbchen und Zäpfchen erreichen in ihrer Entwicklung nie die vollständige Ausreifung. Klinische Symptome erscheinen bereits in der zweiten oder dritten Lebenswoche und verlaufen progressiv bis zur Erblindung mit etwa 16 Wochen. 412
Stäbchen-Zäpfchen Dysplasie der Bengalen
Ofri, et al. (2015) beschreiben eine beim Bengalen auftretende, autosomal rezessiv vererbte, early-onset Erkrankung, die schnell bis zur Erblindung voranschreitet. In einer Studie konnte nachgewiesen werden, dass es sich nicht um dieselbe Mutation handelt, die bei Abessinier-, Perser- oder Siamkatzen vorkommt. Die elektroretinographischen Untersuchungen und histologische Analysen sprechen für eine Photorezeptordegeneration. Die Läsionen sind proportional auf alle Areale der Retina verteilt. 428
Die ophthalmoskopische Untersuchung des Fundus zeigt einen generalisierten Anstieg der Granulierung und nachfolgend der Reflektivität des Tapetum lucidums, gemeinsam mit milder retinaler Gefäßattenuierung ab dem Alter von acht Wochen. Diese Symptome sind bei Katzen pathognomonisch für ausgedehnte Ausdünnung der Netzhaut und steigern sich im Laufe der nachfolgenden vier Monate. Mit vierzig bis sechzig Wochen erreichen die Veränderung den Status einer panretinalen Degeneration. Die Symptome sind immer symmetrisch. Pupillar- und Dazzlereflex sind erst in fortgeschrittenen Stadien verändert. 428
Visuelle Defizite werden mit etwa einem Jahr am Verhalten erkennbar. Zuerst ist das skotopische (Stäbchen) und erst bei fortgeschrittenem Krankheitsverlauf das photopische (Zäpfchen) Sehen beeinträchtigt. Die Progression der Erkrankung verläuft unterschiedlich schnell, daher sind manche Katzen mit einem Jahr und mehr noch visuell. Im ERG wird eine reduzierte Aktivität der Stäbchen- und Zäpfchenfunktion mit sieben bis neun Wochen sichtbar. Mit 14 Wochen ist die Reaktion der Stäbchen beinahe verschwunden. Die Zäpfchenfunktion ist mit 26 Wochen stark reduziert. 428
Retinadegeneration
Die degenerative Retinopathie ist eine erbliche Atrophie der Photorezeptoren, welche erst nach der abgeschlossenen Entwicklung der Zellen beginnt und deshalb zu einem späteren Zeitfunkt auftritt als eine Dysplasie. 427
Alle erblichen Retinopathien mit Beteiligung der Stäbchen und Zäpfchen werden durch Mutationen von Enzymen, die am Phototransduktionsprozess beteiligt sind, hervorgerufen. Durch die Mutation wird eine in den äußeren Segmenten der Photorezeptoren stattfindende biochemischen Kaskade unterbrochen. Daraus resultiert eine Substratakkumulation, die zum Zelltod führen kann. 427
Die Literatur beschriebt eine rezessiv vererbte late-onset Stäbchen-Zäpfchen Degeneration der Abessinier. 407,408 Eine Studie von Menotti-Raymond (2010) belegt, dass die CEP290-Mutation in Rassekatzenpopulationen deutlich verbreiteter ist als bisher angenommen. Sie wurde bei 14 von 41 Siamkatzen und siamkatzenverwandten Rassen nachgewiesen. 381
Photorezeptordegeneration der Abessinierkatzen
Abessinier sind von einer progressiven Stäbchen-Zäpfchen-Degeneration mit autosomal rezessiver Vererbung betroffen. 407,408
Die ursächliche Mutation betrifft ein IRB-Protein (interphotoreceptor retinoid binding protein) 411 im felinen Gen CEP290 382. Die frühe Reduktion dieses Proteins hat einen hochgradig schädigenden Effekt auf die Photorezeptoren und ruft so deren Degeneration hervor. Seit die zugrundeliegende Mutation identifiziert wurde, steht ein Gentest für die Erkrankung zur Verfügung. 411 Mit dessen Hilfe konnte die Prävalenz in der Population stark reduziert werden. 382
Symptome und Diagnose
Die verschiedenen Formen der hereditären Retinopathien verlaufen zwar unterschiedlich, doch beginnen sie in der Regel mit der Veränderung der Stäbchen und die der Zäpfchen folgt erst im fortgeschrittenen Stadium. Durch die Dysplasie oder Degeneration der Stäbchen wird die Nachtsicht und die Erfassung sich bewegender Objekte eingeschränkt. Sind später auch die Zäpfchen verändert, erblindet die Katze. 427
Allen betroffenen Rassen mit PRA sind Symptome wie verminderter Pupillarreflex, tapetale Hyperreflektivität und Gefäßattenuation gemeinsam. 207 Zu den ersten Anzeichen einer PRA gehören tapetale Farbveränderungen, leichte Veränderung der tapetalen Reflektivität und Gefäßattenuation, vordergründig im mittleren und peripheren tapetalen Fundus. Die zentrale Retina ist unverändert bis in fortgeschrittene Krankheitsstadien. Mit Progression der Erkrankung kommen stärkere Veränderungen vor wie Hyperreflektivität und ausgeprägte Gefäßattenuation als Zeichen für die Ausdünnung neuroretinaler Schichten. Das Endstadium stellt sich als generalisierte Retinaatrophie dar. 406 Die Symptome sind stets bilateral und symmetrisch. 411
Ophthalmoskopisch werden vier Phasen unterschieden:
- Der Verdacht auf eine Photorezeptordegeneration besteht bei dezenter grauer Verfärbung der peripapillären Region uni- oder bilateral des Sehnervenkopfes. 551
- In der frühen Phase fällt diffuse tapetale Verfärbung in Verbindung mit milder Gefäßattenuation auf. 551
- Sobald die Degeneration moderat fortgeschritten ist, erscheinen zusätzlich hyperreflektive Areale und die Gefäßattenuation wird zunehmend ausgeprägt. 551
- Im Endstadium ist der komplette tapetale Fundus hyperreflektiv. 551 Die Gefäße sind gänzlich verschwunden und nur noch als sogenannte „ghost vessels“ im zentralen Retinabereich sichtbar. 412 Im nicht-tapetalen Fundus fallen fokal blasse Bereiche auf oder Pigmentklumpen. 551
Therapie
Die Prognose für den Visus erkrankter Katzen ist schlecht. Eine Therapie der hereditären Erkrankung ist aktuell nicht möglich. 427
Überwiegend berichten Besitzer von betroffenen Tieren, dass die Katzen trotz Blindheit eine gute bis exzellente Lebensqualität behalten. Dank der hervorragenden Adaptation ist eine Euthanasie nicht notwendig. 205
Nutritionale Retinadegeneration durch Taurinmangel
Ätiologie
Taurin ist für Katzen ein essenzieller Nahrungsbestandteil. Es wird aus der Aminosäure Cystein synthetisiert. 551 Die endogene Synthese findet in verschiedenen Geweben, vor allem in Hirn und Leber statt. 254,273 Katzen sind nur sehr eingeschränkt zu dieser Synthese fähig und müssen Taurin über die Nahrung aufnehmen. 551 Quellen hierfür sind tierische Produkte wie Fleisch, Milch, Fisch und Schalentiere. 543 Junge Tiere synthetisieren noch weniger als adulte Tiere. 344
Der limitierende Faktor für die endogene Taurinsynthese bei Katzen ist die Konzentration der Enzyme Cystein-Dioxygenase sowie Cystein-Sulfinsäure-Decarboxylase im Gewebe. 254 Außerdem benötigen einige in die Taurinsynthese involvierte Enzyme als Cofaktor Pantothensäure (Vitamin B6), weshalb ein Mangel an Vitamin B6 zu eingeschränkter Taurinproduktion führen kann. 640
Taurin wird in der Leber gespeichert, hohe Konzentrationen finden sich darüber hinaus in Herzmuskel und Retina, besonders in den Photorezeptorzellen. 564 Von allen Geweben ist die Retina das Taurinreichste. 487
Aufgrund von seiner Hydrophilie kann Taurin Membranen nicht überwinden. 184 Zwischen intra- und extrazellulärem Kompartiment entsteht deshalb ein Konzentrationsgefälle 274,276 mithilfe eines aktiven, selektiven, Na-abhängigen Transporters (Tau-T) 184.
Taurin spielt eine Rolle für Neurotransmission und Zellmembranen, Photorezeptoren sowie bei Energietransport und als Gallensäurenkonjugator. 543
In der Zelle reguliert das Amin die Osmoregulation, Abwehr von Antioxidantien, Proteinstabilisierung, Stressreaktionen, Neuromodulation sowie Immunmodulation und schützt so vor zahlreichen Noxen. 274 Der genaue antioxidative Wirkmechanismus ist noch ungeklärt. Durch die Überproduktion freier, hochreaktiver radikaler Sauerstoffspezies (ROS) wie O2, OH und H2O2 entsteht oxidativer Stress. 184 In der Retina bewirkt oxidativer Stress die Entstehung degenerativer Prozesse wie altersbedingte Makuladegeneration 28 oder Glaukom 91. Osmotische Effekte von Taurin tragen zur Limitation der ROS-Auswirkungen bei, indem durch Sauerstoffradikale induzierte Plasma-Membran-Permeabilisation reduziert wird. Die osmotischen Eigenschaften ermöglichen, dass Taurin bei Membranveränderungen den Ionen- und Wassereflux kontrolliert. 233,582,635 Auch auf die intrazelluläre Kalziumkonzentration wirkt Taurin regulierend 177,510 und damit zytoprotektiv 184. Die Modulation erzielt eine neuroprotektive Funktion durch Vorbeugung von Exzitotoxizität durch exzessive Glutamatfreisetzung und Glutamatrezeptoraktivität. 164
Hayes et al. (1975) belegten die essenzielle Funktion von Taurin für den Erhalt der Photorezeptoren. Photorezeptordegeneration wurde mit einer niedrigen Taurinkonzentration in Plasma und Retina in Verbindung gebracht. 253 Dabei sind Zäpfchen wesentlich sensibler und früher betroffen als Stäbchen. 190 Neuere Studien weisen nach, dass auch retinale Ganglienzellen Taurin zum Überleben benötigen. 183,190,280 Die retinalen Ganglienzellen und auch ihre Axone verschwinden parallel zur Zapfendegeneration. 190 Demnach muss sowohl bei Photorezeptor- als auch bei allen retinalen Erkrankungen mit Ganglienzellverlust Taurinmangel als Ursache in Betracht gezogen werden. 184 Zu den systemischen Erkrankungen, die mit dem Verlust retinaler Ganglienzellen sowie einem erniedrigten Taurinspiegel verbunden sind, gehört zum Beispiel der Diabetes mellitus. 44,133,182,384,524
Fälle von nutritiver Retinopathie aufgrund von Taurinmangel werden bei vegetarischer, nicht konventioneller oder selbstgekochter Fütterung beobachtet. 461 Auch bei ausschließlicher Fütterung von Hundenahrung kann es zu Taurinmangel kommen. 427 Weitere mögliche Auslöser eines Mangels sind pharmakologische Stoffe, die den Tau-T Rezeptor blockieren. 437 Dazu gehören Beta-Alanin, Guanidoethan-Sulfonat und Vigabatrin, ein antiepileptisches Medikament. 184
Zu der reduzierten Taurinkonzentrationen speziell in der Retina trägt zusätzlich verminderte Perfusion bei, die beispielsweise im Fall von intraokulärem Druckanstieg bei Glaukom 12 oder Gefäßattenuierung 385 auftritt. Geringer Blutfluss in den retinalen Kapillaren schränkt die Taurinresorption ein und Gefäßatrophie vermindert die zur Verfügung stehende Fläche. 583
Symptome und Diagnose
Taurinmangel verursacht ein pathognomonisches retinales Bild. 551 Der Mangel ruft bereits nach fünf Wochen deutliche elektroretinographisch erkennbare Veränderungen hervor. 543,551 Diese weisen durch niedrige und langsamere visuelle Signale auf retinale Funktionsstörung hin. 184 Die Zäpfchen sind zuerst betroffen. 551 Neben dem Verlust von Photorezeptoren kommt es auch zum Verlust von retinalen Ganglienzellen. Zäpfchen und retinale Ganglienzellen reagieren am sensibelsten auf Taurinmangel. 190
Nach zehn Wochen zeigen sich im ERG veränderte Amplituden von Zäpfchen und Stäbchen. 512 Nach zwanzig Wochen ist ophthalmoskopisch eine Granulierung im Bereich der Area centralis sichtbar, dem Bereich der höchsten Zapfenkonzentration. Im weiteren Verlauf entstehen dort in der Peripherie hyperreflektive Areale, die sich dorsal des Sehnervenkopfes scheiben- oder bandartig ausbreiten. Diese Symptomatik wird feline zentrale Retinaatrophie (FCRA) genannt. 543 Mit den ophthalmoskopisch ersichtlichen Veränderungen gehen reduzierte Rhodopsinkonzentrationen einher. 277 Im Endstadium sind generalisierte Hyperreflektivität und Gefäßatrophie sichtbar. Vollständige Erblindung tritt erst nach mehr als einem Jahr auf. 543
Bei Tieren mit einem Taurinmangel wurde ein Zusammenhang zwischen Lichtexposition und Photorezeptordegeneration festgestellt. Im Dunkeln gehaltene Tiere zeigen im EKG stärkere a- und b-Wellen als lichtexponierte Tiere. 466,475,476 Die toxischste Form des visuellen Lichts liegt bei 415 bis 455 nm Wellenlänge. 13
Für die Diagnostik sind neben der Anamnese und Klinik auch die Plasmataurinkonzentration von Nutzen. Referenzwerte liegen bei 15 bis 150 Mikromol pro Liter. Differenzialdiagnostisch bedacht werden müssen progressive Retinaatrophie und diffuse Retinaatrophie. 543
Therapie
Taurinmangel wird durch eine Futterumstellung behoben. 543 Die Folgen des Mangels sind jedoch nur teilweise reversibel. Retinale Degeneration kann zwar gestoppt werden, vorhandene Läsionen sind allerdings bleibend. ERG-Veränderungen, besonders die der Stäbchen, sind nach der Futteranpassung regressiv. 551 Zur Supplementierung wird eine Dosis von 400ppm am Tag empfohlen. 427
Da Taurinmangel mit feliner Kardiomyopathie in Verbindung gebracht wurde, ist bei betroffenen Katzen eine kardiologische Untersuchung indiziert. 39