Hypertensive Retinopathie
Ätiologie
Übersteigt der systolische Blutdruck physiologische Werte, bezeichnet man dies als systemische Hypertension. 543 Von diesem Krankheitsbild sind besonders ältere Katzen über 10 Jahre betroffen. 118 Dies liegt unter anderem daran, dass der Blutdruck mit zunehmendem Alter steigt. 504 Weibliche Katzen sind mit einem Anteil von 62,5% überrepräsentiert. 642
Eine Hypertension kann primär auftreten oder in Zusammenhang mit systemischen Erkrankungen wie chronischer Niereninsuffizienz, Hyperthyreose, Hyperaldosteronismus, Diabetes mellitus und anderen. 642 Sekundäre Hypertension kommt am häufigsten vor, jedoch sind auch idiopathische Fälle mit einer Prävalenz bis zu 20% beschrieben. 166,351 Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz sind in 20 bis 60% der Fälle hypertensiv. 304,556,571 Bei Hyperthyreose sind es 10 bis 20%. 556,572
Eine Insuffizienz der Nieren führt einerseits zur Retention von NaCl und dadurch zum Anstieg der intrazellulären Kalziumionenzahl, wodurch ein höherer Tonus in den Arteriolen und eine starke Sensitivität gegenüber Vasopressoren wie Angiotensin II sowie Katecholaminen resultiert und andererseits zur Aktivierung des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems, welches den Blutdruck durch Erhöhung des peripheren Widerstandes und kardialen Schlagvolumens ansteigen lässt. 551 Angiotensin II wirkt als potenzieller Vasokonstriktor und Aldosteron bewirkt die weitere renale Retention von NaCl. 158
Dabei gilt zu beachten, dass der Grad der Niereninsuffizienz keine Prognose über das Auftreten und die Schwere von Fundusveränderungen erlaubt. 294
Liegen neben einer chronischen Niereninsuffizienz weitere Erkrankungen wie Hyperthyreose, primäre Hypertension oder linksventrikuläre Hypertrophie vor, heben diese den Blutdruck zusätzlich an. 294
Die Hyperthyreose bewirkt eine systemische Hypertension durch einen Einfluss auf das kardiale Schlagvolumen und die Auswurfleistung. Es kommt zuerst zu einer systolischen Hypertension, die mit zunehmender Chronizität die Fibrose und Sklerose kleinerer Muskelarterien herbeiführt. In diesem Stadium liegt bereits eine systolische und diastolische Hypertension vor, durch die früher oder später eine linksventrikuläre Hypertrophie manifest wird. Nicht selten wird dieses Phänomen übersehen und fälschlicherweise eine hypertrophe Kardiomyopathie diagnostiziert. 551
Der Blutdruck ist abhängig von der Herzfrequenz, dem kardialen Schlagvolumen sowie dem peripheren Gefäßwiderstand und steigt an, sobald sich entsprechende Veränderungen eines Parameters ergeben. 546
Die systemische Hypertension kann, besonders unbehandelt, zu Endorganschäden an Herz, Nieren, Gehirn und Augen führen. 282 Das Auge als Endorgan reagiert aufgrund von dem kleinen Kaliber der okulären Gefäße äußerst sensibel auf eine chronische Hypertension. 118,556 Zu Beginn kommt es autoregulatorisch zur Vasokonstriktion renaler Arteriolen. Sobald die Autoregulation bei weiter ansteigendem Blutdruck versagt, wirkt sich dies auf die Gefäßintegrität aus. Fibrose und Sklerose glatter Gefäßmuskulatur und Endothelzellen erlauben den Austritt von Plasma und Erythrozyten. Dies führt zur Entstehung retinaler Ödeme und fokaler Flüssigkeitsdepots in der neurosensorischen Schicht der Retina, welche schließlich in einer Netzhautablösung gipfeln. 551 Auch die Ischämie des Pigmentepithels trägt zur Netzhautablösung bei. 118 Ischämie resultiert aus der Okklusion präkapillärer Arteriolen und löst eine retinale Degeneration aus 551
Bereits in den ersten Stunden nach der Netzhautablösung beginnt die Degeneration der Photorezeptoren im äußeren Segment, dem retinalen Pigmentepithel und den inneren Kernschichten. 9,169 Bleibende retinale Veränderungen sind histologisch innerhalb von drei Tagen festzustellen. 8 Nach fünfzig Tagen sind in der histologischen Untersuchung gar keine Photorezeptorsynapsen mehr nachweisbar, wobei die stärkste Degeneration zwischen Tag dreizehn und dreißig stattfindet. 169
Die feline Retina weist im Rahmen der Hypertension eine ausgeprägte Regenerationsfähigkeit auf, auch bei lange bestehender Netzhautablösung. Eine aktuelle Studie besagt, dass deutlich mehr Tiere mit initial vollständiger Netzhautablösung am Ende eine positive Drohreaktion zeigen, wenn das Anlegen der Netzhaut mehr als sechzig Tage dauert, als wenn das Anlegen bereits innerhalb von drei Wochen geschieht. Eine Erklärung wird darin vermutet, dass mehr Zeit für die Regeneration der Photorezeptoren bleibt. 642 Bekannt ist, dass die Regeneration des äußeren Segments sehr langsam vonstattengeht. 8
Symptome und Diagnose
Katzen, die an einer Hypertension leiden, werden häufig mit plötzlicher Erblindung vorgestellt. 551 In 68 bis 83% der Fälle ist die plötzliche oder progressive Erblindung das erste klinische Symptom. 341,351
Besonders im Augenhintergrund zeigen sich durch Hypertension bedingte Schäden. 118,309,341,351 Dazu gehören geschlängelt verlaufende retinale Arterien, intra-, prä- oder subretinale Hämorrhagien, Retinaödem, bullöse Netzhautablösung, Netzhautdegeneration, Hyphäma und selten auch ein Sekundärglaukom. 165,556 Retinale Hämorrhagien sind das häufigste sekundäre Symptom der Hypertension, gefolgt von tapetaler Hyperreflexie, vitrealer Hämorrhagie, Hyphäma und Glaukom. 642
Neben okulären, können kardiale Symptome wie Galopprhythmus oder systolische Herzgeräusche sowie neurologische Symptome wie Bewusstseinsveränderungen, fokale Krämpfe und Photophobie auftreten 546
Eine Diagnose wird anhand von typischen Netzhautveränderungen und erhöhtem systolischen Blutdruck gestellt, der meist weit über 200 mmHg liegt. 504 Die sorgfältige Messung des Blutdrucks kann mittels Doppler oder oszillometrisch erfolgen. 546 Der systolische Blutdruck hat, bezogen auf eine Hypertension, größere Aussagekraft als der diastolische oder mittlere Blutdruck. 504 Der physiologische Wert des systolischen Blutdrucks liegt bei gesunden Katzen zwischen 118-140 mmHg. 367,504 Der exakte Schwellenwert, ab welchem es zur hypertensiven Retinopathie kommt, ist ungeklärt, jedoch liegt er tendenziell niedriger als angenommen. 367 Systolische Werte über 160 mmHg werden als hypertensiv bewertet. 551 Dabei hat auch das Messverfahren einen Einfluss auf den Grenzwert. Beschrieben sind 160 mmHg für eine Messung an der Vordergliedmaße mittels Doppler und 140 bis 160 mmHg für eine oszillatorische Messung am Schwanz. 546 Wichtig ist, dass bei Katzen, die unter Stress leiden, der Blutdruck erhöht ist. 30 Bei einem systolischen Blutdruck über 180 mmHg besteht ein großes Risiko für das Eintreten von Endorganschäden. 282,341,503
Neben der Messung des Blutdrucks und einer funduskopischen Untersuchung sollte auch eine auskultatorische Untersuchung auf kardiologische Probleme und eine Evaluierung der Nieren- und Schilddrüsenwerte stattfinden, um eine Ursache für die systemische Hypertension zu finden. 546
Katzen, deren systolischer Blutdruck bei oder knapp über 160 mmHg liegt, die aufgeregt sind und keine sonstigen Symptome zeigen, sollten zunächst im Abstand von sieben Tagen zu einer Kontrolluntersuchung unter möglichst optimalen Bedingungen bestellt werden. 546 Bei einer Hypertonie ist der Blutdruck in der Regel stabil hoch. 165 Ergibt die Messung mehr als 180 mmHg ist eine reelle Hypertonie zu erwarten und es sollten Ursachensuche und Therapie gestartet werden. 30
Für alle mittelalten oder alten Katzen ab neun bis zwölf Jahren und alle Tiere, die an Krankheiten leiden, die mit Hypertension assoziiert sind oder okuläre, kardiologische sowie neurologische Symptome für Endorganschäden zeigen, empfiehlt sich die regelmäßige Kontrolle des Blutdrucks. 546 Die präventive Kontrolluntersuchung sollte mindestens einmal jährlich stattfinden und neben der Blutdruckmessung auch eine funduskopische Untersuchung beinhalten. 551
Eine Studie von Young et. al (2019) zeigt, dass 93,2% der Katzen, die zum Zeitpunkt der Diagnose einer Hypertension visuell sind, ihren Visus behalten. 642 Dies belegt zusätzlich den Vorteil des präventiven Monitorings bei Katzen über zehn Jahren. 504


Therapie
Die Therapie der hypertensiven Retinopathie beinhaltet die Bekämpfung der Ursache und regelmäßige Kontrolle des Blutdrucks. 551 Unbehandelt kann die Erkrankung Endorgane wie Nieren, Herz, Gehirn und Augen schädigen. 282
Liegt eine Grunderkrankung wie Hyperthyreose vor, sollte zuerst eine entsprechende Therapie begonnen werden. Normotensive Katzen können bis zu sechs Monate nach Therapiebeginn eine Hypertension entwickeln und sollten über diesen Zeitraum überwacht werden. Bei systolischen Blutdruckwerten von mehr als 180 mmHg ist eine ausreichende Senkung des Blutdrucks allein durch die Therapie der Hyperthyreose nicht wahrscheinlich. 572
Mittel der Wahl für eine antihypertensive Therapie ist der Kalziumantagonist Amlopidin. 105,165,261,538 Verabreicht wird das Medikament Amlodipin-ratiopharm® in einer Dosis von 0,125 bis 0,25 mg einmal täglich auf oralem Weg. 592 Es erwirkt eine Blutdrucksenkung um 30 bis 50 mmHg. 165,283,368 Außerdem wird dem Kalziumkanalblocker eine Proteinurie vermindernde Wirkung zugesprochen. 283 Nebenwirkungen wie Azotämie, Lethargie, Gewichtsverlust, Hypokaliämie und Reflextachykardie werden selten beobachtet. Sieben bis zehn Tage nach Therapiebeginn wird eine Kontrolluntersuchung empfohlen. Ist der Patient unter Dauertherapie stabil eingestellt, ist eine Kontrolle im Abstand von sechs Monaten ausreichend. 551
Ziel der Therapie ist die Senkung des Blutdrucks unter einen systolischen Wert von 160 mmHg, bestenfalls bleibt er bei etwa 140 mmHg stabil. 65
Eine weitere, regelmäßig bei systemischer Hypertension angewandte Medikamentengruppe sind Angiotensin-converting enzyme (ACE) -Hemmer. 546
Benazepril® wird mit einer Dosis von 0,5 bis 1 mg/kg einmal täglich verabreicht und Ramipril® in der Dosierung 0,125 mg/kg ebenfalls einmal täglich. 592 Die Therapie mit Ramipril® bewirkt bei 69% behandelter Katzen eine Senkung des Blutdrucks in den normotensiven Bereich. 592 ACE-Hemmer wirken auf systemischer und glomerulärer Ebene antihypertensiv und sind daher besonders bei Patienten mit Proteinurie oder Albuminurie interessant. 546
Wird mittels Amlopidin® allein keine ausreichende Blutdrucksenkung erzielt, ist ein kumulativer antihypertensiver Effekt durch eine Kombination mit Benazepril® möglich. 167
Generell ist die Prognose für den Visus gut. 642 Das Ausmaß retinaler Schäden spielt dabei eine große Rolle. 551 Einfluss haben auch der Status der Drohreaktion bei Erstvorstellung, die Dauer bis zum vollständigen Anlegen der Netzhaut bei vorliegender Netzhautablösung und das Geschlecht. Weibliche Katzen sind seltener visuell als männliche Artgenossen. 642
Resultate einer Studie die den Visuserhalt bei hypertensiver Retinopathie untersucht zeigen, dass sich bei knapp 70% der Patienten mit initialer Netzhautablösung die Netzhaut wieder anlegt und knapp 60% der Patienten mit initial negativer Drohreaktion diese nach antihypertensiver Therapie zurück erlangt. 642
Der genaue visuelle Status ist allein durch die Drohreaktion nicht zu bestimmen. 642
Untersuchungen zur Regeneration von Photorezeptoren belegen eine geringe bis nicht vorhandene Zäpfchenregeneration, weshalb vermutlich nach retinalen Schäden durch hypertensive Retinopathie kein Farbsehen mehr möglich ist. 8,339