Ablatio retinae

Ätiologie

Netzhautablösungen entstehen durch die Trennung der neurosensorischen Retina vom unterliegenden Pigmentepithel. 379 Die beiden retinalen Schichten entwickeln sich embryologisch aus verschiedenen Geweben und sind deshalb nicht fest verbunden. 427

Eine Netzhautablösung kann als Folge zahlreicher okulärer und systemischer Pathologien auftreten. 551 Kongenitale Netzhautablösungen können assoziiert sein mit Retinadysplasie und entstehen durch strukturelle Defizite, Funktionsstörungen des Pigmentepithels oder mangelnder Netzhautanheftung. 414 Ätiologisch wird weiter unterschieden in rhegmatogen und nicht-rhegmatogen bedingte Netzhautablösungen. 379

Der Begriff rhegmatogen bezeichnet das Auftreten von Löchern oder Rissen in der Retina, wodurch zugelassen wird, dass Glaskörperflüssigkeit die neuroretinalen Schichten vom Pigmentepithel separiert. 590 Dies geschieht nach Verflüssigung des Vitreus (Liquefaktion) und betrifft vordergründig ältere Katzen. 427

Nicht rhegmatogene Ablösungen entstehen in Folge von Flüssigkeitsansammlungen zwischen Netzhaut und Pigmentepithel, auf die Netzhaut wirkende Zugkräfte oder kongenitale Anomalien. Nach der Art der Flüssigkeit wird exsudative Netzhautablösung, hervorgerufen durch Infektionen, von hämorrhagischer Netzhautablösung, welche bei systemischer Hypertension auftritt, differenziert. 427 Durch die Leckage choroidaler Gefäße treten Flüssigkeit, Zellen oder Mikroorganismen aus und sammeln sich im subretinalen Raum. Dort wo sich Material sammelt, löst sich die neurosensorische Netzhaut von ihrer Unterlage ab. 379

Exsudative, nicht-rhegmatogene Netzhautablösung ist die Folge okulärer Manifestation systemischer Erkrankung. Der Mechanismus ist unanbhängig von der Ursache sehr ähnlich. Die hypertensive Retinopathie ist verbunden mit dem Versagen der Blut-Augen-Schranke durch die direkte Schädigung der Gefäße und dem Austritt von Plasma aus den Gefäßen. Eine Chorioretinitis führt zur Vasodilatation und zur gesteigerten Gefäßpermeabilität und dem Austreten von Zellen in den subretinalen Raum. 379

Die Traktion kommt durch Strukturen im Vitreus wie Membranen oder Gewebsstränge zustande, die an der inneren Retina haften und sie aufgrund der wirkenden Zugkräfte deplatzieren. 379 Ein Risiko besteht besonders nach Trauma mit Perforation oder Linsenluxation. 543

Eine Netzhautablösung kann in Verbindung mit einer großen Zahl von okulären und systemischen Pathologien auftreten. Dazu gehören:

19,342,489,551

  • systemische Hypertension
  • Toxoplasmose
  • FIP
  • Periarteritis nodosa
  • Systemische Mykosen (Kryptokokkose, Blastomykose, Histoplasmose, Cocciodiomykose)
  • Polyzytämie
  • Hyperviskositätssyndrom
  • Ethylenglykolintoxikation
  • Intraokuläre Neoplasien
  • Trauma
  • Polyzytämie

 

Bei der Katze existieren einige speziesspezifische pathophysiologische Besonderheiten 8,169:

In kürzester Zeit, innerhalb von einer Stunde, kommt es zu degenerativen Veränderungen an der epithelialen Zell- Photorezeptorverbindung. Bis zum dritten Tag nach erfolgter Netzhautablösung degenerieren die äußeren Segmente der Stäbchen und Zäpfchen und werden ersetzt durch membrangebundene Vakuolen. Durch Nekrose und Migration der Photorezeptorzellkerne in den subretinalen Raum reduziert sich die äußere Kernschicht innerhalb des ersten Monats merklich. Anstelle der äußeren Photorezeptorsegmente sammelt sich über etwa zwei Monate desorganisiertes Material in Form von knäuelartigen Scheiben und Membranen. Die Zäpfchen überleben dabei länger als die Stäbchen. Bis zum fünfzigsten Tag sind schließlich alle Verbindungen zwischen erstem und zweitem Neuron verloren. Bei Hunden überleben die Zellen der äußeren Kernschicht im Vergleich etwa sechs Monate. 551

Die äußere Schicht der Retina, in der die Photorezeptoren sitzen, ist in Bezug auf ihre Ernährung und Homöostase abhängig von Pigmentepithel und choroidalen Gefäßen. 278 Kommt der Stoffwechsel zum Erliegen, folgt Apoptose und Nekroptose der Stäbchen und Zäpfchen. 15,272 Oxidativer Stress spielt dabei eine tragende Rolle. 83,270,605

 

Symptome und Diagnose

Netzhautablösungen führen regelmäßig zu Veränderungen der Retina, die permanenten Einfluss auf deren Funktionalität haben. 605 Sie können fokal, multifokal oder generalisiert auftreten. Kleine und fokale Ablösungen verursachen nicht zwingend klinische Symptome. Ausgedehnte Netzhautablösungen dagegen bedingen deutliche Visusdefizite oder Erblindung. 379 Ist die Makula involviert, ist der Visusverlust maximal. 169

Die Pupillen erkrankter Augen sind für gewöhnlich dilatiert und nicht responsiv bei Lichteinstrahlung. 41 Bei akuter Ablatio kann der Pupillarreflex partiell erhalten sein. Die nach anterior verlagerte Netzhaut lässt sich mithilfe einer bloßen fokalen Lichtquelle durch die Pupille betrachten. Große Flüssigkeitsmengen im subretinalen Raum vermögen die Retina weit nach anterior zu verdrängen, im Extremfall bis zur posterioren Linsenkapsel. 414 Flächige Ablösungen sind grau-blau bis rot und ähneln einem Ballon oder Fallschirm. Die retinalen Gefäße sind darauf gut erkennbar. 543 Das exponierte Tapetum lucidum erscheint ohne die unterliegenden Netzhautschichten hyperreflektiv. Sind Risse oder Löcher in der Netzhaut vorhanden (rhegmatogene Ablatio), können das Choroid oder Pigmentepithel durch den Defekt sichtbar werden. 414

Funduskopisch stellen sich fokale Netzhautablösungen als unscharf begrenzte, grau-blaue, zystenähnliche Bereiche dar. 543 Wenn das hintere Segment nicht einsehbar ist, kann eine Ultraschalluntersuchung durchgeführt werden. Hier stellt sich eine Netzhautablösung klassischerweise mövenflügelähnlich („seagull sign“) dar.

Die Diagnose wird anhand der typischen funduskopischen Befunde gestellt und kann durch eine sonographische Untersuchung verifiziert werden 543.

Zur Determination der primären Ursache sollte in jedem Fall eine Blutdruckmessung, Blutuntersuchung und Test auf Infektionskrankheiten wie FIP, FIV, FeLV sowie Toxoplasmose erfolgen. Der Nachweis systemischer Mykosen gelingt nur mittels histologischer oder zytologischer Untersuchung von Vitreus- oder Kammerwassermaterial. Die Probengewinnung ist risikobehaftet und sollte nur in Einzelfällen und durch einen erfahrenen Tierarzt durchgeführt werden. 543

Ablatio retinae OU infolge hypertensiver Retinopathie
vollständige Ablatio retinae

Therapie

Das therapeutische Management von Netzhautablösungen ist abhängig von Grunderkrankungen des Tieres und der Ursache sowie Ausdehnung der Netzhautablösung. Auch bei ausgedehnten Ablösungen ist ein Wiederanlegen und Erhalt des Visus möglich. 414

Die Therapie besteht aus der Behandlung der primären Ursache und der symptomatischen Therapie der Netzhautablösung an sich. 427 Die Prognose für den Visus ist abhängig von Art und Dauer der Ablösung. 605

Wenn in der Untersuchung des Patienten eine systemische Hypertension festzustellen ist, wird eine antihypertensive Therapie gestartet. Eine systemische Infektion wird mit einem entsprechenden antimikrobiellen und ggf. einem antiinflammatorischen Medikament behandelt. 427

Exsudative Netzhautablösungen erfordern eine medikamentelle Therapie mit systemischen Entzündungshemmern zusätzlich zu einer gegen die Primärursache gerichtete Therapie. 379

Abhängig vom Gesundheitszustand des Patienten, können auf systemischem Weg Kortikosteroide appliziert werden, um eine Drainage der subretinalen Flüssigkeit zu erzielen. 543 Vor der systemischen Anwendung von Steroiden müssen Infektionen oder systemische Erkrankungen, die eine Kontraindiktion darstellen, ausgeschlossen werden. 414 Dazu eignet sich Prednisolon, welches für vier bis fünf Tage einmal täglich in einer Dosis von 1-2 mg/kg angewendet wird und anschließend in Dosis und Applikationsfrequenz reduziert wird. Stellt sich nach eine bis zwei Wochen keine Verbesserung ein, ist die Prognose für den Visus in der Regel infaust. Andernfalls wird die Therapie über einen langen Zeitraum fortgesetzt. 543

Sammeln sich intraokulär hochgradige Mengen Fibrin, wodurch das Risiko einer Netzhautablösung durch Traktion besteht, kann präventiv eine intraokuläre Injektion von Plasminogenaktivator durchgeführt werden. 427

In vielen Fällen rhegmatogener Netzhautablösung vermögen chirurgische Verfahren die Netzhaut anatomisch wieder anzulegen. 379 Erfolgreiches Anlegen impliziert nicht automatisch die Rückkehr des Visus. 591 Bei einfachen sekundären rhegmatogenen Netzhautablösungen nach Glaskörperdegeneration, die frühzeitig versorgt werden, kann die Netzhautablösung beim Hund in 90 bis 95% behoben werden und die Erfolgsrate für den Visus liegt bei 85%. In komplizierteren Fällen, bei denen die Netzhautablösung als Folge eines Traumas oder Kataraktextraktion auftritt, kann die Retina beim Hund in 80% angelegt werden und 70% der Augen sind visuell. Der Visus kehrt nach 24 Stunden bis mehreren Wochen, meist jedoch zwischen Tag zehn und vierzehn zurück. 591 Die resultierende Sehschärfe ist abhängig von Art und Dauer der Netzhautablösung oft beeinträchtigt. 606

Für eine Retinopexie eignen sich Laser- oder Kryotherapie. 590,591 Je nach Ausdehnung des abgelösten Bereichs variiert das Ziel chirurgischer Versorgung zwischen dem Verhindern von Progression bei Teilablösungen und einem Wiederanlegen extensiv abgelöster Netzhaut. Periphere Risse in der Netzhaut, entstanden durch Zug des Glaskörpers an vitroretinalen Befestigungsstellen, sind mit der klassischen Funduskopie oft nicht einsehbar. In Fällen solch peripherer Läsionen kann eine barrier Retinopexie mittels Diodenlaser durchgeführt werden. 379

Durch Laserretinopexie kann auch bei Netzhautablösung nach Kataraktexzision die Progression des Prozesses verhindert werden. 427

Fälle mit klassischer rhegmatogener Netzhautablösung und kleinen Läsionen auf etwa vier bis acht Uhr sind am besten für eine chirurgische Versorgung geeignet. Da die Diagnose häufig erst in fortgeschrittenen Stadien gestellt werden kann, haben sich bis dahin teils sogenannte Riesenrisse gebildet. 591

Zu den Komplikationen klassischer Retinopexieverfahren gehören die Entstehung retinaler Risse, die Vergrößerung bestehender Risse, Glaukom, Endophthalmitis und PVR (proliferative Vitreoretinopathie). Sobald die Kammerwasser- oder Glaskörperdynamik gestört wird, ist auch Kataraktentstehung eine potentielle Komplikation. 59,264

Es wurden verschiedene Medikamente entwickelt, um den Zelltod der Photorezeptoren durch Apoptose und Nekroptose zu verhindern. Medikamente, die die Apoptose unterdrücken, wie Caspaseinhibitoren, erwirken damit einen Shift zur Nekroptose und können damit den Zelltod der Photorezeptoren nicht erfolgreich eindämmen. 586

Der adenovirusassoziierte Wirkstoff XIAP ist in der Lage, Photorezeptoren vor dem apoptotischen Zelltod und auch dem nekroptotischen Zelltod zu schützen. 327,596,638,639

Aktuell wird das XIAP Gen am Katzenmodell erforscht und bietet vielversprechende Ergebnisse. Weitere Forschungsarbeit ist hier noch vonnöten, bis eine klinische Anwendung möglich wird.